Ergebnisse Einer Kohortenanalyse, 1999-2018
Robert Koch Institute LogoAIDS-definierende Erkrankungen bei Personen unter dauerhafter antiretroviraler Therapie

AIDS-definierende Erkrankungen bei Menschen mit HIV, die in klinischer Behandlung sind und unter durchgängiger Langzeit-Therapie stehen, werden in Deutschland seit der Einführung der antiretroviralen Therapie (ART) selten beobachtet. Dennoch treten AIDS-Ereignisse mitunter auch bei Personen auf, die gut therapiert sind. Das Ziel dieser Studie war eine Untersuchung von AIDS-definierenden Erkrankungen, die nach mehr als einem Jahr dauerhafter ART aufgetreten sind.

Die Einführung der antiretroviralen Therapie (ART) Ende der 1990er war ein Meilenstein in der Behandlung von HIV und AIDS. Kontinuierliche Verbesserungen in der Wirksamkeit und Sicherheit im Laufe der Zeit sowie darauf basierende Anpassungen der Therapieleitlinien haben zu einem weltweiten Rückgang der HIV-Morbidität als auch Moralität geführt. Angesichts dieser Entwicklungen stellte UNAIDS im Jahr 2014 seine Fast-Track „90-90-90“ Ziele vor, welche dann auf die „95-95-95“ Ziele erweitert wurden, mit dem übergeordneten Ziel die AIDS-Epidemie als Gefahr für die öffentliche Gesundheit bis 2030 zu beenden.1 Auf Basis dieser Ziele wird angestrebt, dass 95% aller HIV-positiven Menschen von ihrer Infektion wissen, davon 95% die ART erhalten und davon wiederum 95% erfolgreich therapiert sind, also die virale Suppression erreicht haben. Deutschland ist hier im Ländervergleich bereits weit oben angesiedelt mit aktuell 90% geschätzter diagnostizierter HIV-positiver Menschen, von denen 96% die ART erhalten und von denen wiederum 96% unter der viralen Nachweisgrenze sind.2

Diese positiven Entwicklungen spiegeln sich auch in den AIDS-Inzidenzen in Deutschland wieder. Die Ergebnisse einer vom Robert Koch-Institut (RKI) durchgeführten Studie haben gezeigt, dass seit Einführung der ART die Inzidenz von AIDS-definierenden Erkrankungen stetig zurückgegangen ist.3 Die meisten AIDS-Ereignisse wurden hier zu Therapiebeginn oder im ersten Jahr nach Therapiebeginn beobachtet, was vor allem auf HIV-Spätdiagnosen zurückzuführen war. Das Auftreten von AIDS-Fällen unter langjähriger durchgängiger ART ist in Deutschland jedoch epidemiologisch bislang nur unzureichend untersucht worden.

HIV-1 Serokonverter und ClinSurv-HIV Studien

Das Ziel dieser Studie war die Untersuchung von AIDS-definierenden Erkrankungen bei Menschen mit HIV, die mindestens ein Jahr ununterbrochen mit ART behandelt wurden.4 Zunächst wurden die Patientencharakteristika zum Zeitpunkt des ersten AIDS-Ereignisses charakterisiert. Anschließend wurden die häufigsten diagnostizier-ten AIDS-definierenden Erkrankungen beschrieben, deren Inzidenz errechnet sowie mögliche prognostische Faktoren analysiert. Ein AIDS-Ereignis umfasst alle Krankheitsbilder die gemäß der CDC Definition (Centers for Disease Control and Prevention) im Zusammenhang mit AIDS stehen.5 Für die Analysen wurden die Daten der HIV-1 Serokonverter und ClinSurv-HIV Kohortenstudien herangezogen, welche seit Ende der 1990er am RKI koordiniert und in Zusammenarbeit mit HIV-Kliniken und Schwerpunktpraxen deutschlandweit zur klinischen Surveillance von Personen mit HIV durchgeführt werden. Analysiert wurden die Daten von Personen über 18 Jahren, die zwischen 1999 und 2018 in einer der beiden Kohorten als Teilnehmende eingeschlossen waren.

Zwei Drittel unter der viralen Nachweisgrenze

Abb. 1  Verteilung der Personen, bei denen eine AIDS-definierende Erkrankung unter dauerhafter ART diagnostiziert wurde, nach ART-Dauer zum Zeitpunkt des ersten AIDS-Ereignisses (Abbildung modifiziert nach Pantke et al., 2024)
Abb. 1 Verteilung der Personen, bei denen eine AIDS-definierende Erkrankung unter dauerhafter ART diagnostiziert wurde, nach ART-Dauer zum Zeitpunkt des ersten AIDS-Ereignisses (Abbildung modifiziert nach Pantke et al., 2024)

Insgesamt wurden 12.466 Personen in die Analysen miteingeschlossen, von denen bei 378 mindestens eine AIDS-definierende Erkrankung nach mehr als einem Jahr durchgängiger ART beobachtet wurde. Bei knapp 47,6% der Personen ist dieses AIDS-Ereignis innerhalb von einem bis drei Jahren nach ART-Beginn aufgetreten, bei 28,7% nach drei bis sechs Jahren und bei 23,8% nach mehr als sechs Jahren (s. Abb. 1). Das durchschnittliche Alter zum Zeitpunkt der ersten AIDS-definierenden Erkrankung unter dauerhafter ART lag bei 44,6 Jahren und der Median CD4-Wert bei 324 Zellen/µl.

Die Viruslast war bei zwei Dritteln (66,3%) der Personen unter der Nachweisgrenze als die Erkrankung diagnostiziert wurde, was zeigt, dass ein relativ hoher Anteil zu dem Zeitpunkt gut therapiert war. Untersucht wurde ebenfalls die Viruslast im Verlauf der Zeit bis zum AIDS-Ereignis. Hier haben die Ergebnisse gezeigt, dass 58,5% der Personen nach Erreichen der viralen Suppression konstant unter der Nachweisgrenze waren oder mindestens einmal einen leichten Anstieg (Blip = bis 200 Kopien/ml) hatten. 32,0% hatten mindestens einmal eine Episode einer Virämie (>200 Kopien/ml) und 9,5% hatten vor Auftreten des AIDS-Ereignisses nie die virale Suppression erreicht. Der Anteil der Personen, die vor dem AIDS-Ereignis eine Virämie entwickelt hatten, war hier bei den Personen am höchsten deren Erkrankung nach mehr als sechs Jahren dauerhafter ART aufgetreten ist. Auch wenn in die Analysen nur Daten von Personen ohne ART-Pausen eingeflossen sind, ist wahrscheinlich, dass suboptimale ART-Adhärenz in der Studienpopulation eine Rolle gespielt hat.

Candida des Ösophagus am häufigsten unter dauerhafter ART

Abb. 2  Die fünf häufigsten Arten von AIDS-definierenden Erkrankungen bei Personen unter dauerhafter ART (Abbildung modifiziert nach Pantke et al., 2024)
Abb. 2 Die fünf häufigsten Arten von AIDS-definierenden Erkrankungen bei Personen unter dauerhafter ART (Abbildung modifiziert nach Pantke et al., 2024)

In den Analysen zu den Arten der AIDS-definierenden Erkrankungen wurde geschaut, welche Erkrankungen am häufigsten als erstes AIDS-Ereignis unter dauerhafter ART diagnostiziert wurden. Die Candida des Ösophagus (14,7%) kam hier an erster Stelle, gefolgt vom Wasting-Syndrom (11,3%), der Pneumocystis-Pneumonie (PjP) (10,3%), der HIV-Enzephalopathie (10,1%) und den HSV-Ulzera (7,5%) (siehe Abb. 2).

Um zu untersuchen ob es Unterschiede in den Verteilungen im Hinblick auf verschiedene Personengruppen gab, wurden stratifizierte Analysen durchgeführt. Zum einen hat sich bei den Personen deren AIDS-Ereignis nach mehr als sechs Jahren dauerhafter Therapie aufgetreten ist gezeigt, dass häufiger HIV-Enzephalopathien diagnostiziert wurden als bei den Personen bei denen das AIDS-Ereignis früher aufgetreten ist. Aus Studien ist bekannt, dass andere Erkrankungen wie beispielsweise kardiovaskuläre Erkrankungen oder Diabetes das Risiko einer HIV-Enzephalopathie erhöhen können. Eine weitere Gruppe bei der Unterschiede in den diagnostizierten Erkrankungen beobachtet wurden waren Personen aus HIV-Hochprävalenzländern. Bei diesen Personen, die hauptsächlich aus Ländern in Subsahara-Afrika kommen, wurden am häufigsten Tuberkulosen diagnostiziert. Dies lässt sich möglicherweise auf ein erhöhtes Expositionsrisiko bei Personen aus diesen Regionen zurückführen.

CD4-Wert sowie eine vorausgegangene AIDS-Erkrankung stärkste Prädiktoren

Im letzten Schritt wurden Time-to-Event Analysen durchgeführt, welche die Inzidenzberechnung sowie die Identifizierung von bedeutsamen Prädiktoren für ein erstes AIDS-Ereignis nach mehr als einem Jahr durchgängiger ART beinhalteten. Für den Gesamtstudienzeitraum wurde eine insgesamt niedrige Inzidenz von 5,6 AIDS-Ereignissen pro 1.000 Personenjahren (PJ) beobachtet. Um die Fortschritte der ART sowie die darauf basierenden Anpassungen in den Therapieleitlinien im Laufe der Zeit zu berücksichtigen, wurde die Inzidenz nochmal in zwei Zeitperioden berechnet. Hier hat sich gezeigt, dass diese von 11,1 pro 1.000 PJ im ersten Zeitraum (1999 bis 2009) auf 3,9 pro 1.000 PJ im zweiten Zeitraum (2010 bis 2018) gesunken ist. Dies unterstreicht die positiven Auswirkungen verbesserter antiretroviraler Medikamente sowie der Empfehlungsanpassungen hin zu einem früheren Therapiebeginn.

In den Prädiktionsanalysen konnten zwei Variablen identifiziert werden, die für die Entwicklung eines AIDS-Ereignisses unter dauerhafter ART von prognostischer Bedeutung waren. Diese waren ein niedriger CD4-Wert bei ART-Beginn sowie eine vorausgegangene AIDS-definierende Erkrankung vor ART-Beginn. Ein weiterer Faktor von prädiktiver Bedeutung war injizierender Drogengebrauch. Bei Drogengebrauchenden wurde ebenfalls der kleinste Anteil (42,9%) an Personen mit viraler Suppression zum Zeitpunkt des AIDS-Ereignisses beobachtet, was die Vermutung zulässt, dass suboptimale ART-Adhärenz bei dieser Gruppe häufiger vorkommt als bei den anderen Transmissionsgruppen.

Empfehlungen zur Reduzierung von AIDS-Fällen unter ART

Alles in allem sind die Ergebnisse der Studie sehr ermutigend. Die insgesamt niedrige Inzidenz, die für den Gesamtstudienzeitraum von 20 Jahren beobachtet wurde, unterstreicht die Wichtigkeit dauerhafter ART sowie klinischer Behandlung bei Menschen, die mit HIV leben. Dennoch haben die Ergebnisse ebenfalls gezeigt, dass AIDS-Ereignisse auch im Zeitalter der effektiven ART bei Personen unter dauerhafter Therapie vorkommen und diese auch noch nach Jahren durchgängiger Behandlung sowie bei viraler Suppression auftreten können. Dies erlaubt die Annahme, dass selbst wenn alle UNAIDS „95-95-95“ Ziele erreicht oder übertroffen werden, immer noch mit einer geringen Zahl an AIDS-Fällen gerechnet werden muss.

Die Ergebnisse legen nahe, dass im Hinblick auf eine Reduzierung dieser AIDS-Fälle unter dauerhafter ART der Fokus weiterhin auf die HIV-Spätdiagnosen gelegt werden sollte. Die stärksten Prädiktoren für AIDS unter ART waren eine niedrige CD4-Zellzahl und eine vorausgegangene AIDS-Erkrankung als Zeichen einer bereits beeinträchtigten Immunfunktion zu ART-Beginn. Des Weiteren müssen ebenfalls Faktoren während des Therapieverlaufs in Betracht gezogen und noch stärker unterstützt werden, beispielsweise die ART-Adhärenz sowie der generelle Gesundheitszustand, vor allem bei vulnerablen Gruppen wie Drogengebrauchenden.


1 UNAIDS. Understanding Fast-Track. Accelerating action to end the AIDS epidemic by 2030. 2015 [cited 2024 May 17]. Available from: https://www.unaids.org/sites/default/files/media_asset/201506_JC2743_Understanding_FastTrack_en.pdf.

2 HIV in Deutschland 2021. Epidemiologisches Bulletin: Robert Koch-Institut; 2022. Report No.: 47.

3 Pantke A, Kollan C, Gunsenheimer-Bartmeyer B, Jensen B-EO, Stephan C, Degen O, et al. AIDS in the era of antiretroviral therapy: Changes in incidence rates and predictors of AIDS among people living with HIV under clinical care in Germany, a cohort study 1999-2018. HIV Medicine. 2023;1-3.

4 Pantke A, Kollan C, Gunsenheimer-Bartmeyer B, Jensen B-EO, Stephan C, Degen O, et al. AIDS-defining events among people living with HIV who have been under continuous antiretroviral therapy for more than one year, a German cohort study 1999-2018. Infection. 2024;52(2):637-48.

5 Centers for Disease Control and Prevention. 1993 Revised Classification System for HIV Infection and Expanded Surveillance Case Definition for AIDS Among Adolescents and Adults. MMRW 1992;41(No RR-17).


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