25th Internationale AIDS Conference vom 22.-26. Juli 2024 in München
WeltAidsKongressWeltAidsKongress

Eine schöne Stadt mit einem tatsächlich weiß-blauen Himmel. Eine moderne Eröffnungsshow. Ein spektakulärer Durchbruch bei der Prävention. Interessante Studien zur Therapie. Angemessene Protestaktionen. Eine positiv entspannte Atmosphäre. Das war AIDS2024 in München.


Abb. 1Abb. 1
Abb 1

WeltAidsKonferenzen sind keine wissenschaftlichen Kongresse. Sie sind als Treffen der internationalen „HIV-Community“ (d.h. alle im HIV-Bereich aktiven Personen) konzipiert mit dem Ziel wissenschaftlichen Fortschritt weltweit zugänglich zu machen. Der Unterschied zur herkömmlichen wissenschaftlichen Tagung zeigte sich schon bei der Eröffnung, die an eine Oscar-Verleihung erinnerte. Zwei spargeldünne Moderatorinnen im Abendkleid führten professionell durch die Eröffnung, kündigten die Redner mit Musikuntermalung an, die dann aus dem dramatisch beleuchteten Hintergrund hervortraten (Abb. 1). Inhaltlich war nichts unerwartet: Viele Forderungen, viele Versprechen, ein wenig Provokation und einige kleinere Protestaktionen.

Durchbruch bei Prävention

Abb. 2   PURPOSE-1: HIV-Infektionen bei Frauen unter Lenacapavir zweimal subkutan pro Jahr vs F/TAF vs F/TDF Tabletten einmal täglich
Abb. 2 PURPOSE-1: HIV-Infektionen bei Frauen unter Lenacapavir zweimal subkutan pro Jahr vs F/TAF vs F/TDF Tabletten einmal täglich

Das größte Highlight des Kongresses war die Studie PURPOSE-1, deren Ergebnisse bereits vor der Konferenz veröffentlicht wurden. Zwei subkutane Injektionen Lenacapavir schützten ein Jahr lang 100% vor einer HIV-Infektion. In der Studie an über 5.000 afrikanischen Frauen wurde die präventive Wirksamkeit von Lenacapavir Q6Msc mit TDF/FTC und TAF/FTC verglichen. Nach einem Jahr wurde die Studie vorzeitig abgebrochen, da unter Lenacapavir keine einzige HIV-Infektion beobachtet wurde. Unter der oralen PrEP TDF/FTC lag die HIV-Inzidenz dagegen bei 2,4% (d.h. 2,4 Infektionen/100 Frauenjahre). Unter TDF/FTC wurden 16 Infektionen, unter TAF/FTC 39 Infektionen dokumentiert (Abb. 2). Die Adhärenz bei der oralen PrEP war schlecht, bei der Spritzenprävention dagegen sehr gut. Die Verträglichkeit von Lenacapavir war ebenfalls gut. Die häufigsten Nebenwirkungen waren Injection Site Reactions, die aber nur in einem Fall zum Abbruch führten (Bekker LG et al., SS0407).

19 Jahre Absturz MH17
Die IAS trauert um die 298 Menschen, die vor 10 Jahren am 17. Juli 2014 ihr Leben verloren. Sie waren auf dem Weg zur AIDS2014 in Melbourne als
das Flugzeug von russischen Separatisten über der Ukraine abgeschossen wurde.

Wie geht´s weiter?

Die Ergebnisse der Studie wurden bei der Präsentation mit Standing Ovations bejubelt. In den Medien war von einem „Game Changer“ die Rede und die Notwendigkeit der Impfstoff-Forschung in Frage gestellt. Überall wurde die weltweite Implementierung gefordert untermalt von entsprechenden Aktionen von Aktivisten und in einem Poster wurden die Herstellungskosten für generischen Lenacapavir mit weniger als <100 U$/Jahr berechnet (Hill A et al., LB46). Gilead Sciences will die Zulassung nach Abschluss der Studie PURPOSE-2 einreichen, an der MSM, transgender und non-binäre Personen teilnehmen und deren Ergebnisse Anfang 2025 erwartet werden. Ein wenig Wasser in den Wein goss Laura Waters aus London, die fragte, ob auch PCR-Tests durchgeführt wurden. Diese Ergebnisse lagen noch nicht vor. Langwirksame Medikamente können, wie man in den PrEP-Studien mit Cabotegravir-LA gesehen hat, eine HIV-Infektion durch Suppression der Virusvermehrung lange maskieren.

PrEP-Schwangerschaft

Schwangerschaft

In der Studie PURPOSE-1 wurden unter Lenacapavir 10% der Teilnehmerinnen schwanger. Anders als in früheren Studien war diesmal weder eine Antikonzeption noch ein Studienausschluss bei Schwangerschaft obligat. Ein Großteil der Schwangeren führte die PrEP weiter. Es wurde kein negativer Einfluss beobachtet (Bekker LG et al., SS0407). Auch Cabotegravir-LA scheint in der Schwangerschaft möglich zu sein. In der offenen Verlängerung von HTPN084-OLE wurden 367 Frauen schwanger. Der INSTI-LA war gut verträglich, hatte keinen Einfluss auf das Gewicht der Schwangeren und die intrauterine Entwicklung. Die Plasma-Talspiegel waren mit einer Konzentration CAB-La >600 mg auch im 2. und 3. Trimenon ausreichend (Delany-Moretlwe S et al., SY2503; Marzinke MA et al., SY2504).

HIV-Heilung

Der siebte Mensch, der von HIV geheilt wurde, kommt aus Berlin. Der 60jährige Patient erhielt wegen einer akuten myeloischen Leukämie eine allogene Stammzelltransplantation und setzte die ART auf eigenen Wunsch ab. Mittlerweile ist er fast sechs Jahre HIV-frei. Was ist daran neu? Neu ist, dass Patient und Spenderzellen heterozygot für CCR5-32 (CCR5 WT/32) waren (Gaebler C et al., SSo402LB). Nachdem auch der „Genfer Patient“ nach Transplantation von Stammzellen ganz ohne CCR5  32 Mutation immer noch HIV-frei ist, geht man davon aus, dass die homozygote Mutation keine Voraussetzung für eine Heilung ist, sondern bei Heilung ein multifaktorielles Zusammenwirken von Eradikation der eigenen Zellen, CCR5-Deltamutation und Immunsuppression wegen Graft-versus-Host vorliegt.

Neue Substanzen

Bernd Müller, Münchner Aids-HilfeWir leben in der deutschen Blase

AIDS2024 war mein erster Kongress zum Thema. Ich bin kein HIV-Experte und habe das Geschehen daher weniger aus medizinischer, sondern eher aus organisatorischer und communitynaher Sicht verfolgt. Daher war ich primär im Global Village unterwegs und unterhielt den Stand der Münchner Aids-Hilfe, an dem wir jede Menge Informationen bereithielten, Hunderte kostenloser Badges druckten sowie Tausende Kondome und roter Aids-Schleifen verteilten. Vor allem aber kamen wir dort mit Menschen ins Gespräch. Im Global Village kamen Menschen aus allen Nationen zusammen mit all´ ihren Erfahrungen, Erlebnissen und Geschichten. Diese zu hören, machte mir deutlich, dass wir in München und Deutschland in einer Blase leben, der wir selbst oft nicht recht entkommen. Natürlich haben wir hier unsere Themen und Probleme – verglichen mit anderen Ländern und anderen Biografien erscheinen sie allzu häufig fast schon marginal. Den Satz „Euch geht’s doch super!“ hörte ich jedenfalls oft – und wohl zu Recht. Dieser Blick in die Welt und auf die internationale Lage von Menschen, die mit HIV leben, war für mich der prägendste Eindruck einer Woche, in der ich viel gelernt und viel erfahren habe.


Ein Islatravir-Nachfolger ist am Start. Das NTTRI MK-8527 wird einmal monatlich eingenommen und hat erste Phase-1-Studien gut überstanden (Gillespie G et al., WEPB106; Gravett RM et al., WEPE520). Auch bei den INSTI geht die Entwicklung weiter. Das Molekül VH-184 zeigte nicht nur eine starke antivirale Wirksamkeit, sondern ist auch gegen DTG-resistente Stämme aktiv (Roegg L et al., OAB2603; Seli T et al., WEPEB114). Der INSTI
GS-1720 zur einmal wöchentlichen Gabe war potenter als Bictegravir und GS-4182, ein Prodrug des Kapsid-Inhibitors Lenacapavir erreichte ausreichende Plasmaspiegel (Hansen D et al., THPEA025; Subramanian R et al., WEPEA031).

Begleiterkrankung

Abacavir steht schon lange im Verdacht, kardiovaskulären Ereignissen Vorschub zu leisten. Eine Auswertung der REPRIEVE-Studie unterstützt diesen Verdacht. An REPRIEVE nahmen Personen mit HIV und geringem kardiovaskulären Risiko teil. Eine ART mit Abacavir während oder vor der Studie erhöhte das Risiko kardiovaskulärer Ereignisse signifikant (Fichtenbaum C et al., OAB3406LB).

Neues Regime

Abb. 3 SOLAR 3D: Virologische Wirksamkeit zu Woche 48 & 96 sowie zu Woche 144 (per protocol)
Abb. 3 SOLAR 3D: Virologische Wirksamkeit zu Woche 48 & 96 sowie zu Woche 144 (per protocol)

Abb. 4 PASO-DOBLE: Switch auf DTG/3TC vs BIC/F/TAF – Zunahme des Körpergewichts um  />5%
Abb. 4 PASO-DOBLE: Switch auf DTG/3TC vs BIC/F/TAF – Zunahme des Körpergewichts um >5%

Eine neue Option zur Therapievereinfachung bei supprimierten Personen auf komplexen Regimen könnte Lenacapavir 75 mg+Bictegravir 75 mg oral einmal täglich sein. In der Studie ARTISTRY-1 wurden 128 Personen (ART-Vortherapie 22 Jahre, 3 Tbl/d, 41% BID) auf dieses Regime umgestellt. Nach 48 Wochen kam es nur bei 1/103 Patienten zu einem Virusanstieg, der jedoch nach Wiederumstellung eine Re-Suppression erreichte (Segal-Maurer S et al., OAB2602).

ART-DTG/3TC

Die Mutation M184V/I hat wohl keinen wesentlichen Einfluss auf die Wirksamkeit von DTG/3TC. In der prospektiven Switch-Studie SOLAR-3D wurde dies bei einem stark vorbehandelten Kollektiv mit früherem virologischem Versagen (ART 25 vs 15 Jahre, supprimiert 13 vs 9 Jahre, Regime 9 vs 4, INSTI-Versagen RAL oder EVG 71% vs 50%) mit versus ohne M184V/I geprüft. In beiden Gruppen waren nach 144 Wochen per protocol 95% weiterhin supprimiert. Nur bei 1/100 Personen kam es zum virologischen Versagen aufgrund einer dokumentiert schlechten Adhärenz (Abb. 3) (Blick G, SS0403LB).

Beim ersten direkten Vergleich von DTG/3TC und BIC/F/TAF in der Switch Studie Paso-Doble war der virologische Effekt der beiden Regime vergleichbar, aber die Gewichtszunahme unter der Tripletherapie größer (48 Wochen +0,92 kg). Besonders ausgeprägt war der Unterschied bei einer Zunahme von >5% des Körpergewichts (20% vs. 30%) und bei TDF-Vortherapie (20% vs. 40%) (Abb. 4) (Martinez E et al., OAB3606LB).

Auch den „Stresstest“ bei fortgeschrittenem Immundefekt hat DTG/3TC bestanden. Bei 82 naiven Personen mit fortgeschrittenem Immundefekt (CD4 100/µl, VL 160.000 K/ml, 20% AIDS) war der Effekt des dualen Regimes mit BIC/F/TAF vergleichbar (Schüttfort G et al., THPEB097).

Abb. 5 Inzidenz von majoren INSTI-assoziierten Resistenzmutationen CAB/RPV-LA vs DTG
Abb. 5 Inzidenz von majoren INSTI-assoziierten Resistenzmutationen CAB/RPV-LA vs DTG

Abb. 6 DoxyVac: Mehr hochresistente Gonokokken unter DoxyPEP
Abb. 6 DoxyVac: Mehr hochresistente Gonokokken unter DoxyPEP

ART-LA

Beim Versagen der Spritzentherapie kommt es signifikant häufiger zu INSTI-Resistenzmutationen als beim Versagen einer Dolutegravir-basierten ART. In 18 randomisierten Studien (n=2733) wurde virologisches Versagen bei jeweils 1% der Personen beobachtet, unter CAB/RPV-LA wurde jedoch bei 17/26 Personen im Vergleich zu 0/28 Personen unter DTG relevante INSTI-Mutationen dokumentiert (Abb. 5) (Navarro AP et al., LB17).

Cabotegravir/Rilpivirin-LA kann einer Substudie von FLAIR zufolge auch subkutan alle vier Wochen gespritzt werden, was allerdings häufiger zu lokalen Reaktionen führt. Die Mehrheit der Anwender wollten diese Art der Applikation nicht weiterführen. Sie wird daher vom Hersteller auch nicht weiterentwickelt (D´Amico R et al., OAB2604).

STI-DoxyPrEP

Bei der DoxyPrEP werden kontinuierlich täglich 100 mg Doxycyclin eingenommen. Dieses Konzept wurde in zwei Studien untersucht. In einer kanadischen Pilotstudie (n=55) hatte die DoxyPrEP einen ähnlich guten Effekt wie die DoxyPEP auf die klassischen STI Syphilis (-79%), Chlamydien (-92%) und Gonorrhoe (-68%) (Grennan T et al., 11987). Bei japanischen Sexarbeiterinnen (n=40), die in der Regel zusätzlich Kondome benutzten, war der Effekt bei Lues und Gonorrhoe ähnlich ausgeprägt, hatte aber keinen Einfluss auf andere vaginale Infektionen (Abe S et al., 7497).

STI-DoxyPEP

In der französischen DoxyVac-Studie (n=545) wurde die Resistenzentwicklung von Gonokokken überwacht. Unter DoxyPEP wurden deutlich mehr hochresistente Gonokokken mit tetM-Gen beobachtet, aber keine vermehrte Resistenz gegen Ceftriaxon, Ciprofloxacin und Azithromycin (Abb. 6) (Bercot B et al., SS0404LB).

Dr. Ramona Pauli, München


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Kommentar Dr. Ramona Pauli, München
Plädoyer gegen Wissenschafts-Aktivismus

Anti-racist, anti-sexist, anti-ageist implementation science study of long-acting injectable cabotegravir and rilpivirine in clinic and community settings: ILANA primary endpoint (M12) results (Orkin C et al., LB12).

Hinter diesem Titel verbirgt sich eine britische Implementierungsstudie zur ART-LA im „community setting“. Frauen, Alte und Minderheiten seien – so die Autor*innen – in früheren Studien unterrepräsentiert gewesen.
Das mag wohl stimmen, doch der Titel der Studie suggeriert, dass Rassismus, Sexismus und Altersfeindlichkeit die Ursache war. Selbst wenn Wissenschaftler *innen dieser Meinung sind, gehört diese persönliche Meinung nicht in den Titel einer wissenschaftlichen Arbeit. Wie soll Wissenschaft in der Öffentlichkeit als neutral und damit glaubwürdig wahrgenommen werden, wenn die Grenzen zwischen Wissenschaft und politischem Aktivismus derart verschwimmen?





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