Regina Selb, Berlin
Gonorrhoe – Resistenzsituation von Neisseria gonorrhoeae in Deutschland
Mit 82,4 Millionen Fällen im Jahr 2020 ist die Gonorrhö nach Schätzungen der Weltgesundheitsorganisation (WHO) die global zweithäufigste sexuell übertragbare bakterielle Infektionskrankheit (STI).1 Im Jahr 2022 konnte in Europa ein starker Anstieg der Infektionen mit Neisseria gonorrhoeae (NG), dem Erreger der Gonorrhö, beobachtet werden. Das Europäische Zentrum für die Prävention und Kontrolle von Krankheiten (ECDC) berichtete gegenüber dem vorpandemischen Jahr 2018 einen Anstieg um knapp 60% auf über 70.000 Gonorrhö-Fälle in 2022.2 In Deutschland stehen zur Gesamtinzidenz von NG-Infektionen aktuell lediglich Daten aus Sachsen zur Verfügung. Im Vergleich zum Jahr 2018 verdoppelte sich die Inzidenz in Sachsen auf 33 Fälle/100.000 Einwohner in 2023 (Quelle: SurvNet).
Resistenzentwicklung
Eine globale Herausforderung für die Behandlung und Kontrolle der Gonorrhö ist die Antibiotikaresistenzentwicklung des Erregers.3 NG entwickelte innerhalb der letzten Jahrzehnte Resistenzen gegen alle wesentlichen Antibiotikaklassen, darunter Penicilline, Tetracycline, Makrolide sowie Fluorchinolone und seit einigen Jahren auch gegen Cephalosporine der dritten Generation. Die WHO und das ECDC haben aus diesem Grund Aktionspläne und Strategien entwickelt, sowie Surveillance-Programme ins Leben gerufen.4-6 Die Strategie des Bundesministeriums für Gesundheit zur Eindämmung von HIV, Hepatitis C und B und anderen sexuell übertragbaren Infektionen führt Public Health-Maßnahmen zur Gonorrhö als zentralen Bestandteil an.7
Die Gonokokken-Resistenz-Surveillance (Go-Surv-AMR) am RKI ist das zentrale Surveillance-Instrument für Deutschland, um die Resistenzsituation von NG einschätzen zu können. In Kollaboration mit einem Netzwerk aus primärdiagnostischen Laboren in ganz Deutschland werden NG-Isolate gesammelt und am RKI zentral auf ihre Antibiotikaempfindlichkeit getestet.
Daten aus Deutschland
Für
das Jahr 2023 wurden im Rahmen von Go-Surv-AMR insgesamt 1.190 vitale
NG-Isolate aus 42 einsendenden
Laboren
am RKI angezüchtet. Dabei stammten
87,1% von Männern, 10,2% von
Frauen und 0,2% von Personen mit Geschlechtsangabe „divers“. Für
2,5% der Isolate lag keine Angabe zum Geschlecht
der betroffenen Person vor. Das
mediane
Alter betrug 34 Jahre bei Männern
und 31 Jahre bei Frauen. Insgesamt
stammten 33,5% der Einsendungen
aus Berlin, gefolgt von 15,5% aus Nordrhein-Westfalen und 8,4% aus
Bayern.
Abb. 1a Entwicklung der Resistenz von Neisseria gonorrhoeae in Deutschland gegenüber den therapeu- tisch wichtigen Antibiotika Azithromycin, Cefixim und Ceftriaxon, 2014-2023. Für Azithromycin wurde ein epidemiologischer Grenzwert herangezogen (Bewertungskriterien nach EUCAST 14.0)Quelle: Go-Surv-AMR
Das Antibiotikum Ceftriaxon befindet sich in Deutschland seit einigen Jahren stabil auf sehr niedrigem Resistenzlevel mit unter 1% resistenter Isolate (Abb. 1a). Im Jahr 2023 wurden drei Ceftriaxon-resistente Isolate identifiziert, was einem Anteil von 0,3% entsprach. Alle Ceftriaxon-resistenten Isolate waren gleichzeitig auch resistent gegenüber Cefixim. Im Jahr 2023 wurden insgesamt 5 Cefixim-resistente Isolate (Anteil: 0,4%) identifiziert. In den letzten Jahren bewegte sich der Anteil Cefixim-resistenter Isolate im niedrigen einstelligen Bereich unter 2% (Abb. 1a). Für das Makrolid-Antibiotikum Azithromycin zeigte sich seit dem Jahr 2018 ein deutlicher Anstieg der Resistenzanteile, welcher sich in 2023 erstmals nicht mehr fortsetzte (Abb. 1a). Hier blieb der Anteil an Isolaten über dem epidemiologischen Cut-off (ECOFF) stabil auf hohem Niveau (2023: 24,6%).
Abb. 1b Resistenz von Neisseria gonorrhoeae in Deutschland gegenüber sechs wichtigen Antibiotika, 2018-2023 (Bewertungskriterien nach EUCAST 14.0)
Quelle: Go-Surv-AMR
Im Jahr 2023 waren 68,9% aller Isolate resistent gegenüber dem Fluorchinolon Ciprofloxacin, 13,4% der Isolate waren Penicillin-resistent (Abb. 1b). Für beide Antibiotika zeigten sich in den letzten Jahren Resistenzanteile auf stabil hohem Niveau. Für Tetracyclin wurden in Deutschland bereits seit mehreren Jahren Resistenzanteile um bzw. über 90% identifiziert (Abb. 1b). Im Jahr 2023 waren 95,4% der Isolate resistent gegenüber dem Antibiotikum Tetracyclin. Die Empfindlichkeitstestung von Tetracyclin wird in Ermangelung einer besseren Testoption oft zur Einschätzung einer Doxycyclin-Resistenz herangezogen. Nach EUCAST besteht aber generell nur unzureichende Evidenz, dass Doxycyclin für die Therapie der Gonorrhö geeignet ist und es bleibt unklar, ob die Ergebnisse der Tetracyclin-Resistenztestung auch eine adäquate Einschätzung der Doxycyclin-Resistenz erlaubt.8
Im
Jahr 2023 trat im Rahmen von Go-Surv-AMR zum ersten Mal ein Isolat
auf, welches resistent gegenüber den Cephalosporinen Ceftriaxon und
Cefixim sowie gegenüber Azithromycin war. Das Isolat war jedoch
sensibel
gegenüber Tetracyclin.
Therapie
Die aktuell gültige Leitlinie für Deutschland empfiehlt 1-2 g Ceftriaxon i.v. oder i.m. einmalig zur Behandlung der Gonorrhö, sofern eine Patientinnen- bzw. Patienten-Adhärenz gegeben ist.9 Bei nicht gegebener Adhärenz wird eine Kombinationstherapie bestehend aus 1-2 g Ceftriaxon i.v. oder i.m. plus 1,5 g Azithromycin p.o., jeweils als Einmaldosis, empfohlen. Anstelle von Ceftriaxon kann nach einer Empfindlichkeitstestung alternativ auch der Einsatz von Cefixim, 800 mg p.o. als Einmaldosis oder 2x 400 mg p.o. im Abstand von 8-12 Stunden, erwogen werden, allerdings nur, wenn keine Infektion des Pharynx vorliegt.
Diagnostik
Der Goldstandard des Erregernachweises ist die NAAT-Diagnostik. Diese ermöglicht jedoch keine Empfindlichkeitstestung. Auf Grund der anspruchsvollen Kulturbedingungen zur Erregeranzucht und aufwändigen Empfindlichkeitstestung wird im Rahmen der Routine-Diagnostik derzeit nur bei einem geringen Teil der NG-Nachweise in Deutschland eine Empfindlichkeitstestung durchgeführt. Somit kommt Go-Surv-AMR eine zentrale Rolle zur Überwachung der Resistenzsituation in Deutschland zu. Die aktuell gültige AWMF-Leitlinie zur Diagnostik und Behandlung der Gonorrhö fordert jedoch die Durchführung einer Empfindlichkeitstestung für jeden Erregernachweis. Auf Patientenebene können somit Resistenzbildungen direkt erkannt und im Falle eines Therapieversagens individuelle Alternativoptionen in Betracht gezogen werden. Zur Therapieberatung kann das Konsiliarlabor für Gonokokken am RKI kontaktiert werden.