Christian Hoffmann, Hamburg
Opportunistische Infektionen – Teil 9: CMV-Erkrankungen
Infektionen mit Zytomegalie-Viren (CMV) sind weit verbreitet. In Deutschland liegen die Durchseuchungsraten um 50-70%, bei der Gruppe der MSM sogar bis zu 90%. Die Seroprävalenzen sind überdies stark altersabhängig. In einer amerikanischen Studie von über 20.000 Menschen stieg die CMV-Seroprävalenz von 36,3% bei 6-11jährigen auf 90,8% bei über 80jährigen. Bei ansonsten gesunden Personen verläuft die Infektion mit diesem zur Familie der Herpesviren gehörenden DNA-Virus gewöhnlich blande ohne wesentliche Krankheitssymptome.
Bei deutlichem Immundefekt (unter 50
CD4-Zellen/µl, also schlechter als bei vielen anderen opportunistischen
Infektionen) kann die Reaktivierung einer CMV-Infektion zu einer Entzündung der
Netzhaut (Retinitis) führen. Diese CMV-Retinitis war früher eine häufige
AIDS-definierende Erkrankung, an der bis zu 30% der Patienten erblindeten.
Heute tritt die CMV-Retinitis wie fast alle AIDS-Erkrankungen vor allem bei
unbehandelten Patienten auf, die oftmals erst zu diesem Zeitpunkt als
HIV-infiziert diagnostiziert werden. Eine inflammatorische CMV-Retinitis mit
schwerer Vitritis kann heute aber auch im Rahmen eines IRIS vorkommen. Wenn die
CMV-Retinitis nicht rechtzeitig diagnostiziert und behandelt wird, ist immer
der Visus bedroht. Bei Visusstörungen liegen fast immer bereits Läsionen vor,
die auch bei adäquater Therapie nicht mehr reversibel sind. Die CMV-Retinitis
bleibt damit auch heute eine gefährliche Erkrankung, obgleich sich die Prognose
durch antiretrovirale Therapie deutlich verbessert hat. Andere Manifestationen
einer disseminierten CMV-Infektion sind eher selten (etwa 15%). Sie können
prinzipiell jedes Organ betreffen. Pneumonien, Ösophagusulzera, Colitiden und
Enzephalitiden sind am häufigsten, aber auch Sinusitiden kommen vor (Abb. 1).
Abb. 1: CMV-Kolitis. Pfeil: Schleimhautentzündung mit verdickter Mukosa im Colon transversum, Sigmoid, Rektum und Blase
Quelle: http://www.aids-images.ch
Die Klinik richtet sich nach dem betroffenen Organ, die Diagnose ist nur histologisch zu stellen. Mangels Studien werden meist systemische Therapien analog zur CMV-Retinitis gewählt.
Klinik
Jede perakut oder akut auftretende Visusstörung wie zum Beispiel Verschwommensehen („Schneetreiben“), Schatten oder Flecken sollte Anlass sein, den Patienten unverzüglich zum Ophthalmologen zu schicken. Dies gilt ganz besonders für unilaterale Visusstörungen. Entscheidend ist die rasche Diagnose. Die Funduskopie sollte, wenn irgend möglich, noch am gleichen Tag erfolgen. Denn: die symptomatische CMV-Retinitis ist ein Notfall – wo einmal ein schwarzer Fleck im Gesichtsfeld ist, bleibt ein schwarzer Fleck. Meist sind es Netzhautablösungen und Makulaödem, seltener kataraktartige Veränderungen, die die Visusstörungen verursachen. CMV-Therapien können meist nur das Fortschreiten stoppen und nichts mehr rückgängig machen. Schmerzen im Auge, Brennen, vermehrter Tränenfluss und konjunktivale Reizzustände sind nicht typisch. Viele Patienten leiden an systemischen Symptomen wie Fieber und Gewichtsverlust.
Diagnostik
Abb. 2: CMV-Retinitis vor und nach Therapie
Die Diagnose der Retinitis wird klinisch bzw. durch die Funduskopie gestellt (Abb. 2). Entscheidend bei der Beurteilung ist die Erfahrung des Ophthalmologen. Fehldiagnosen, durch die kostbare Zeit (und Netzhaut) verschenkt wird, sind leider keine Ausnahme. Deshalb gilt, wenn sich der Ophthalmologe nicht festlegen kann: Zur Not mit oralem Valganciclovir anfangen und den Patienten in ein Zentrum mit mehr Erfahrung transportieren!
Bei CD4-Zellen unter 100/µl ist die Chorioretinitis durch Toxoplasma gondii eine wichtige Differentialdiagnose. Bei CD4-Zellen über 100/µl ist eine CMV-Retinitis (ohne IRIS) eher unwahrscheinlich und andere virale Infektionen (Herpes simplex- oder Varizella zoster-Viren) oder auch eine Neurolues wahrscheinlicher. Typisch für die CMV-Retinitis sind unregelmäßig begrenzte Areale nekrotisierender Retina, die sich oft entlang eines Gefässes ausbreiten und von intra- und präretinalen Hämorrhagien begleitet werden. In der Regel tritt die CMV-Retinitis primär peripher auf, in seltenen Fällen jedoch auch am hinteren Pol oder papillär. Mitunter werden CMV-Läsionen mit Cotton-Wool-Herden verwechselt, die bei hoher HI-Viruslast nicht selten sind. Viele kleine Herde ohne Blutungen oder Exsudate sind fast immer Cotton-Wool-Herde und so gut wie nie eine CMV-Retinitis. Auch beidseitiger Befall ist eher die Ausnahme. Eine Vitritis abseits eines Immunrekonstitutionssyndroms ist ebenfalls selten.
CMV-Serologien (IgG fast immer positiv, IgM wechselnd) helfen diagnostisch nicht weiter. Eine CMV-PCR oder, wenn sie nicht vorhanden ist, die Bestimmung von pp65-Antigen im Blut, können dagegen wertvolle Hinweise geben: Eine CMV-Retinitis ist bei negativer PCR oder negativem pp65 unwahrscheinlich. Je höher die CMV-Virämie, desto höher ist das Risiko einer CMV-Erkrankung. Eine positive PCR erhöht das Mortalitätsrisiko um das 3- bis -fache und ist mehreren Studien zufolge mit einer ungünstigen Prognose assoziiert. Wie bei Toxoplasma gondii wird auch für CMV versucht, die antigenspezifische Immunantwort besser zu charakterisieren. Derartige Testverfahren sind derzeit jedoch noch nicht Routine.
Therapie
Tab. 1: Therapie/Prophylaxe der CMV-Retinitis (soweit nicht anders angegeben, Tagesdosierungen)
Jede CMV-Therapie sollte zügig begonnen und sehr engmaschig funduskopisch überwacht werden (am Anfang einmal pro Woche, eine Fotodokumentation ist sinnvoll). Am Anfang steht eine zwei- bis dreiwöchige intensive Induktionstherapie, in der Regel mit Valganciclovir (siehe unten), bis die Läsionen vernarbt sind. HIV-Kliniker und Augenarzt sollten während dieser Induktionstherapie mindestens einmal pro Woche Kontakt halten. Auf die Induktionstherapie folgt eine dosisreduzierte Erhaltungstherapie.
Alle Patienten sollten außerdem zügig, sofern noch nicht geschehen, mit ART beginnen. Die spezifische CMV-Immunantwort ist so restaurierbar, so dass eine CMV-Virämie auch ohne spezifische Therapie nach einigen Wochen meist verschwindet. Ohne Symptome würden wir eine isolierte CMV-Virämie zunächst nicht spezifisch behandeln. ART reicht in diesen Fällen meistens. Bei einer Retinitis ist das anders, da die Immunrekonstitution mehrere Monate auf sich warten lassen kann. Nur eine positive IgM-Serologie (ohne weitere Diagnostik oder Klinik) zu behandeln, ist nicht nur teuer, sondern meistens auch ein unnötiges Risiko.
Systemische Therapie
Mittel der Wahl ist Valganciclovir, eine oral gut resorbierbare Prodrug von Ganciclovir. In einer randomisierten Studie war es genauso effektiv wie intravenöses Ganciclovir, allerdings auch genauso myelotoxisch. Regelmäßige Blutbildkontrollen sind daher wichtig. Andere systemische Optionen spielen heute kaum noch eine Rolle, zumal Ganciclovir-Resistenzen selten sind. Sollten dennoch Resistenzen vorliegen oder Valganciclovir nicht vertragen werden, ist die intravenöse Foscarnet-Gabe eine Alternative. Die Substanz ist allerdings nephrotoxisch und kann sehr schmerzhafte Penisulzera verursachen. Eine intensive Hydratation ist daher notwendig.
Für das gelegentlich noch eingesetzte Cidofovir gibt es keine vergleichenden Studien. Der Vorteil der langen Halbwertszeit (Gabe einmal pro Woche möglich) wird durch die erhebliche Nephrotoxizität aufgehoben. Wir sahen trotz strenger Beachtung eines genauen Infusionsschematas bei jedem zweiten Patienten Kreatinin-Anstiege.
Als eine mögliche neue Alternative erschien bis vor kurzem Maribavir, das in Phase-II-Studien als CMV-Prophylaxe bei allogen transplantierten Patienten Effektivität zeigte. Maribavir ist nicht myelotoxisch und hat eine Wirkung auf Ganciclovir-resistente Stämme, wesentliche Nebenwirkungen sind gastrointestinaler Art. Für HIV-Patienten gibt es bislang noch keine Daten. In 2009 wurde eine Phase-III-Studie bei Patienten mit allogener Stammzelltransplantation und hohem CMV-Risiko mangels Wirksamkeit abgebrochen, so dass es derzeit fraglich ist, ob die Substanz weiter entwickelt wird.
In einer Analyse dreier großer Studien hatten Patienten mit CMV-Retinitis in den Jahren 1990-1997 einen Überlebensvorteil durch die zusätzliche Gabe von G-CSF (Filgrastim). Vor allem bakterielle Infektionen wurden reduziert. Der Grund für den positiven Effekt blieb unklar. Zum jetzigen Zeitpunkt kann die Gabe von Filgrastim jedenfalls nicht allgemein empfohlen werden. Allerdings kann sie unter der Therapie mit Valganciclovir notwendig werden.
Lokale Therapie
Verschiedene Lokaltherapien sind bei der CMV-Retinitis getestet worden. Obwohl ihre Anwendung durch erfahrene Ophthalmologen selten Komplikationen verursacht (Infektionen, Blutungen), bleiben doch einige Nachteile. So schützt die intravitreale, wöchentliche Injektion von Ganciclovir bzw. Foscarnet oder die Implantation von Pellets (Vitrasert®, Wechsel alle 6-9 Monate erforderlich) nicht vor einer Infektion am kontralateralen Auge oder extraokulären Manifestationen. Dies gilt auch für Fomivirsen (Vitravene®), ein intravitreal zu injizierendes Antisense-Oligonukleotid, das auch bei multiresistenten CMV-Stämmen wirkt. Lokaltherapien spielen heute, bedingt durch die Effekte von ART und Valganciclovir, so gut wie keine Rolle mehr.
Prophylaxe
Primärprophylaxe
In prospektiven Studien hat bislang keine Primärprophylaxe einen überzeugenden Effekt zeigen können. Auch eine wirksame Impfung gibt es nicht. Die wichtigste Vorbeugung bei HIV-Patienten mit weniger als 200 CD4-Zellen/µl bleibt deshalb die drei-monatliche Funduskopie. Bei guter Immunrekonstitution können die Intervalle für die Augenarztbesuche ausgedehnt werden. Patienten mit schlechtem Immunstatus sollten vor ART-Beginn funduskopiert werden. Kleinere Läsionen, die sich dann im Zuge der Immunrekonstitution als sehr ausgeprägt inflammatorisch präsentieren können, werden so rechtzeitig entdeckt.
Sekundärprophylaxe
Nach etwa drei Wochen Akuttherapie, frühestens aber bei der Vernarbung der Läsionen, sollte eine dosisreduzierte Sekundärprophylaxe (Erhaltungstherapie) beginnen, am besten mit oralem Valganciclovir. Allerdings ist Valganciclovir nicht nur teuer (zwei Tabletten pro Tag kosten monatlich rund 2.000 Euro), sondern auch ebenso myelotoxisch wie Ganciclovir-Infusionen. Andere myelotoxische Substanzen wie zum Beispiel Zidovudin sollten möglichst vermieden werden. Ein Absetzen der Sekundärprophylaxe so schnell wie möglich ist daher wünschenswert und praktikabel. Es ist nach den US-Richtlinien frühestens nach drei bis sechs Monaten einer Immunrekonstitution auf über 100 CD4-Zellen/µl zu empfehlen. Wir haben Valganciclovir allerdings auch schon bei weniger CD4-Zellen/µl erfolgreich abgesetzt, sofern sowohl die HIV- als auch die CMV-PCR im Blut unter der Nachweisgrenze lagen. Eine Studie zeigte, dass das Absetzen nach 18 Monaten ART/Erhaltungstherapie schon ab 75 CD4-Zellen/µl sicher ist. Nach dem Absetzen sollten die Patienten in der ersten Zeit mindestens ein Mal pro Monat ophthalmologisch kontrolliert werden. Die früher via Port, Pumpen und Pflegedienst lebenslangen täglichen Infusionen mit Ganciclovir oder Foscarnet sind damit zum Glück Geschichte. Sollten unter oralem Valganciclovir Rezidive auftreten, würden wir eine Re-Induktion und Erhaltungstherapie mit Foscarnet, evtl. auch mit Cidofovir empfehlen.