Florian Hitzenbichler und Konstantin Drexler, Regensburg
Kutane Diphtherie

Die Hautdiphtherie ist eine seltene Erkrankung, meist ein wenig bedrohlicher Zufallsbefund im Abstrich, der allerdings mit Melde- und Isolationspflicht verbunden ist.

Mikrobiologie

Die Hautdiphtherie wird – wie die klassische Diphtherie der oberen Atemwege – durch Corynebacterium diphtheriae (C. diphtheriae) oder C. ulcerans ausgelöst. Bei dem Erreger handelt es sich um grampositive Stäbchen. Manche Stämme können das auf dem tox-Gen kodierte Diphtherie Toxin (DT) bilden. Die Hautdiphtherie wurde erstmals im 18. Jahrhundert beschrieben. Dabei wurden vor allem zwei verschiedene Krankheitsbilder dokumentiert: Die sogenannte Wunddiphtherie (bei der es zu Infektionen von bestehenden Wunden kam) sowie die eigentliche Hautdiphtherie, die de novo entsteht oder als Folge von kleinen Hautverletzungen oder -schäden, Verbrennungen, Insektenstichen (die Übergänge sind fließend) auftritt. Typisch sind zudem Mischinfektionen mit Streptokokken oder Staphylokokken.1, 2

Abb. 1 Impfquoten und Diphtherie-Fälle weltweit Quelle: WHO.int
Abb. 1 Impfquoten und Diphtherie-Fälle weltweit Quelle: WHO.int


Klinik

Das klassische klinische Bild sind nicht-heilende Erosionen mit einem scharfen Wundsaum („punched-out“, wie ausgestanzt), teilweise auch mit schmierigen, gräulichen Belägen. Auch eine Kolonisierung von (bestehenden) Läsionen ist möglich, dann ist das Hautbild weniger typisch. Glücklicherweise wird bei der Hautdiphtherie auch weniger Toxin freigesetzt als bei der klassischen Diphtherie. Daher imponieren die Patienten auch deutlich weniger krank. Oft ist die Hautdiphtherie (wie in unserem Fallbericht) eine „mikrobiologische Zufallsdiagnose“ im Abstrich.

Epidemiologie

Die Übertragung läuft mittels Schmierinfektion (enger Kontakt), aber auch Tröpfcheninfektionen sind möglich (Besiedelung oder Infektion des Rachens). Risikokonstellationen sind: Menschen aus Risikogebieten (viele Länder Afrikas, Asiens und des Südpazifik sowie Osteuropas), Unterbringung in engen Verhältnissen/Massenunterkünften sowie prekäre Lebensverhältnisse (Obdachlose).

C. ulcerans ist (häufig) eine Zoonose. C. diphtheriae hingegen kommt nur beim Menschen vor. Die Übertragung erfolgt durch engen Kontakt zu Haus- (Katze und Hund) und Nutztieren. Zu unterscheiden ist auch, dass Hautdiphtheriefälle, welche in Deutschland erworben sind, oft kein Diphtherie Toxin bilden, wohingegen die Erreger, die in den Tropen/Subtropen erworben werden, oft Toxin bilden. Dies hat Implikationen für das weitere Management (s.u.).

In Deutschland kam es in den letzten Jahren vermehrt zum Nachweis von Hautdiphtherie. Dies hat mutmaßlich mehrere Gründe: Zum einen ist die mikrobiologische Diagnostik durch etablierte Methoden der Identifizierung von Erregern (MALDI-TOF) verbessert worden. Dadurch gelingt der Nachweis und die Identifizierung der Bakterien auch aus chronischen Wunden wie bei Ulcus cruris und Diabetes zuverlässiger. Zum anderen spielen importierte Infektionen durch die Migration aus Ländern mit höherer Prävalenz sowie den Kontakt von ungeimpften Migranten auf Flucht eine immer größere Rolle.2,3

Diagnostik

Die Diagnose gelingt mittels kulturellem Nachweis von Corynebakterien. Dem Labor sollte die Verdachtsdiagnose „Diphtherie“ in jedem Fall vorab mitgeteilt werden. Mittels PCR kann die Bestätigung eines toxinbildenden Stammes erreicht werden, ggf. muss das Isolat an das Referenzlabor verschickt werden. Die Serologie ist bei der Diagnose nicht hilfreich. Bei der klassischen Diphtherie der oberen Atemwege sollte die Diagnostik nicht abgewartet, sondern die Therapie unverzüglich eingeleitet werden. Bei der Hautdiphtherie, auf die sich dieser Artikel fokussiert, wird die Diagnose oft erst durch den mikrobiologischen Nachweis gestellt.4

Differentialdiagnosen

Kasuistik – Zufallsbefund Hautdiphtherie

Ein 22jähriger männlicher Patient stellte sich in der Notaufnahme mit seit mehreren Wochen bestehenden, multiplen, nicht-heilenden Hautveränderungen an beiden unteren Extremitäten vor. Die Läsionen waren schmierig belegt und scharf begrenzt. Der Patient fühlte sich krank und gibt ein allgemeines Schwächegefühl an, zudem bestehen Schmerzen in beiden Beinen. Laborchemisch zeigte sich leicht erhöhtes CRP mit 7,9 mg/l (Normbereich <5), das Blutbild war normwertig (Leukozyten 8,7/nl, Hb 15,0 g/dl, Thrombozyten 284/nl). Ein PCR Test auf Orthopoxviren (Affenpocken) sowie auf Leishmanien war negativ. In der mikrobiologischen Kultur aus den Läsionen am Unterschenkel gelang der Nachweis von S. aureus (MSSA), beta-hämolysierenden Streptokokken der Gruppe A (S. pyogenes) und von Cornyebacterium diphtheriae, die im weiteren Verlauf durchgeführte PCR auf Corynebacterium diphtheriae Toxin war positiv.

Abb. 1 Klinische Bilder der unteren Extremitäten des Patienten. Im Bereich der unteren Extremität zeigten sich multiple, scharf begrenzte, teils grauweißlich belegte, Erosionen mit erythematösem Randsaum
Abb. 1 Klinische Bilder der unteren Extremitäten des Patienten. Im Bereich der unteren Extremität zeigten sich multiple, scharf begrenzte, teils grauweißlich belegte, Erosionen mit erythematösem Randsaum

Der Patient wurde stationär aufgenommen und isoliert. Ein begleitender Rachenabstrich zeigte nur physiologische Erreger (und keine Corynebakterien). Nach Antibiogramm wurde eine antibiotische Therapie mit Amoxicillin / Clavulansäure 3x 875/125 mg
p.o. begonnen (über 14d), eine topische und analgetische Therapie wurde ergänzend durchgeführt. Es erfolgte eine ausführliche Rücksprache mit dem lokalen Gesundheitsamt, um die Unterbringung des Patienten zu regeln und um Kontrollabstriche nach Entlassung zu ergänzen.

Neben Impetigo oder anderen Wundinfektionen sind atypische Mykobakteriosen oder Rickettsiosen zu erwähnen. Eine weitere Differentialdiagnose stellt die kutane Leishmaniose dar, insbesondere bei epidemiologischer Konstellation. Zudem sollte bei unklaren Läsion aktuell auch an eine Infektion mit MPox gedacht werden.

Therapie

Bei der klassischen Diphtherie wird die Gabe von Antitoxin (vom Pferd) empfohlen. Hier ist eine stationäre Aufnahme und Überwachung (Gefahr der schweren allergischen Reaktion) essentiell. Bei der Hautdiphtherie kommt es in der Regel nicht zu einer relevanten Ausschwemmung von Toxin in den Organismus, so dass kein Antitoxin gegeben werden muss. Nur bei sehr großen Läsionen (größer 2cm2) kann die Gabe erwogen werden. Das Pferdeantitoxin ist nicht überall verfügbar. In der Regel wird es in überregionalen Notfalldepots gelagert, hier ist bei Bedarf Rücksprache mit dem lokalen medizinischen Zentrum ratsam.

Wichtiger ist die antibiotische Eradikation des Erregers mit Penicillin (Penicillin V 4x 250 mg), Amoxicillin (3x 1 g) oder einem Makrolid. Empfohlen wird hier oft Erythromycin 4x 500 mg, alternativ können aufgrund der besseren Verträglichkeit auch Clarithromycin, z.B. 2x 500 mg, oder Azithromycin eingesetzt werden. Zu beachten sind Koinfektionen der Haut mit Streptokokken oder Staphylokokken. Die Therapie kann/sollte hier nach Antibiogramm optimiert werden (siehe Fallbericht rechts). Die Therapiedauer beträgt 14 Tage. Der Erfolg ist mittels Abstrich aus Wunde und Rachen zu überprüfen.

Management

CAVE: Die Diphtherie ist nach IfSG §6 meldepflichtig und zwar durch den behandelnden Arzt unabhängig von der Labormeldepflicht!

Hygienemaßnahmen

Die Wunddiphtherie ist ansteckend, so lange der Erreger in der Wunden (oder im Rachen) nachweisbar ist. Dies ist in der Regel für zwei bis vier Wochen (ohne Therapie) der Fall, die Erreger können aber auch über Monate nachweisbar bleiben.

Patienten mit Hautdiphtherie sollten im Krankenhaus umgehend isoliert werden. Das Personal sollte den eigenen Impfschutz prüfen. Bei der Hautdiphtherie sollten die Wunden gut abgedeckt sein. Zwei negative Abstriche im Abstand von 24 und 48 Stunden nach Ende der Antibiotikatherapie müssen vorliegen, bevor die Isolation aufgehoben werden kann.

Die Infektion hinterlässt keine sichere Immunität, so dass nach Beendigung der Therapie eine Grundimmunisierung gegen Diphtherie durchgeführt werden sollte.

Natürlich müssen nicht alle Patienten mit Hautdiphtherie stationär behandelt werden, allerdings ist eine Unterbringung in Gemeinschaftsunterkünften nicht ohne weiteres möglich, wenn eine Separierung der Patienten nicht gelingt. Hier ist – wie generell bei jeder Diphtherieinfektion – eine enge Absprache mit dem Gesundheitsamt essentiell.

Abb. 2 Aktuelle Diphtherie-Fälle bei Migranten Quelle: www.ecdc.europa.eu
Abb. 2 Aktuelle Diphtherie-Fälle bei Migranten Quelle: www.ecdc.europa.eu

Kontaktpersonen

„Ansteckungsverdächtige“ im Rahmen des IfSG §2 sind enge Kontaktpersonen der erkrankten Person. Diese sind folgendermaßen definiert:

  • Personen, die ich gleichen Haushalt schlafen oder leben (Teilen gemeinsamer Einrichtungen wie z.B. Küche und Bad).
  • Kinder in der gleichen Kindergartengruppe oder Klasse
  • Personen, die engen körperlichen Kontakt zur Indexperson hatten
  • Medizinisches Personal, welches ohne entsprechende Schutzmaßnahmen die Wundversorgung vorgenommen haben

Bei engen Kontaktpersonen sollen folgende Maßnahmen eingeleitet werden:

  • Auffrischimpfung Diphtherie, wenn letzte Impfung länger als 5 Jahre zurück liegt (die Impfung richtet sich gegen das Toxin und nicht gegen den Erreger, so dass durch die Impfung eine Besiedelung nicht sicher verhindert wird)
  • Abstrich von Nasen- und Rachen zur Kultur
  • Information über das Krankheitsbild Diphtherie sowie Selbstbeobachtung über 10d (Inkubationszeit 2-10d)
  • Einleitung einer PEP mittels einmalig Tardocillin 1.2 MioU im oder alternativ Erythromycin oder Clarithromycin über 7d
  • Die Gabe von Antitoxin ist nicht indiziert4

1 Sharma, N.C., et al., Diphtheria. Nat Rev Dis Primers, 2019. 5(1): p. 81.

2 RKI, Epidemiologisches Bulletin Nr. 20. 16. Mai 2019.

3 ECDC. Diphtheria Annual Epidemiological Report for 2018. Available from: https://www.ecdc.europa.eu/sites/default/files/documents/diphtheria-annual-epidemiological-report-2018.pdf.

4 RKI. RKI Ratgeber Diphtherie. 10.01.2018 [cited 2023 07.02.2023].

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