Deutsche AIDS-Hilfe logo„Todesfall wegen geschlossen“

Kurz vor der Welt-Aids-Konferenz zelebriert die Deutsche Aidshilfe in München die „Nicht-Eröffnung“ eines Drogenkonsumraums. Denn diese Einrichtungen sind in Bayern nicht erlaubt. Der Oberbürgermeister schreibt daraufhin an Markus Söder. Ein breites Bündnis fordert: Lassen Sie die Kommunen entscheiden! Kommt jetzt Bewegung in die Debatte?

Der Pop-up-Drogenkonsumraum in München
Der Pop-up-Drogenkonsumraum in München

Ein Drogenkonsumraum mitten in München – das geht nun wirklich nicht. Eine empörte Anwohnerin unterbricht die Pressekonferenz zur Einweihung auf dem Gehsteig in der belebten Fraunhofer Straße mit einem Zwischenruf: „Warum muss das hier sein?“

Müsse es nicht, erklärt der Moderator. Bei diesem Pop-up-Drogenkonsumraum handele es sich nur um eine künstlerische Aktion, um auf den Nutzen solcher Einrichtungen hinzuweisen. Bei einer echten Eröffnung würde man frühzeitig den Dialog mit der Nachbarschaft suchen. Aber das hört die Frau schon nicht mehr, sie ist gleich wieder abgerauscht.

Vor verschlossener Tür

Gemeinsam mit dem Gesundheitsreferat der Stadt München und lokalen Drogen- und Selbsthilfeorganisationen empfängt die Deutsche Aidshilfe (DAH) zur Pressekonferenz vor verschlossenen Türen. Denn einen Drogenkonsumraum zu eröffnen, wäre in Bayern illegal. Schon die Ankündigung der „Einweihung“ hat in Medien und Politik für viel Wirbel gesorgt. Rund 50 Menschen haben sich nun vor der Galerie im Gärtnerplatzviertel versammelt.

Der Drogenkonsumraum hinter der Schaufensterscheibe ist ganz in sterilem Weiß gehalten, eine LED-Lampe wirft ein bläuliches Licht auf einen Tisch mit Konsumutensilien in der Mitte, Naloxon und einem Sauerstoffgerät für Notfälle. Im Schaufenster liegen Rauchfolie, Crackpfeifen und weiteres Zubehör. Hinten an der Wand prangt ein Schriftzug: „Hier könnten Leben gerettet und Infektionen verhindert werden.“ Wer versucht, die Tür zu öffnen, liest an der
Scheibe: „Todesfall wegen geschlossen.“

Prävention verboten

Große Aufmerksamkeit für die Nicht-Eröffnung © Alle Fotos: Florian Freund
Große Aufmerksamkeit für die Nicht-Eröffnung © Alle Fotos: Florian Freund

Drei Tage vor der Eröffnung der Welt-Aids-Konferenz weist die „Nicht-Eröffnung“ darauf hin, dass es der Gastgeberstadt verboten ist, ein gut evaluiertes Mittel der Prävention einzusetzen, das von der WHO und anderen Fachorganisationen empfohlen wird. Auch die Konferenz AIDS 2024 selbst ist offizielle Unterstützerin der Aktion.

„Wir wollen zeigen: Drogenkonsumräume sind machbar, sie sind erprobt, und sie sind notwendig“, proklamiert Stefan Miller vom DAH-Vorstand an diesem Morgen auf dem Gehsteig. „Ob Leben gerettet und Infektionen verhindert werden oder nicht, ist eine politische Entscheidung. Bayern entscheidet sich immer noch und jeden Tag wieder dagegen.“

Nach vorläufigen Daten des Instituts für Therapieforschung und der Deutschen Aidshilfe wurden letztes Jahr in 29 von 33 Drogenkonsumräumen in Deutschland eine Million sterile Spritzen und Nadeln verteilt. 638 Mal wurde medizinische Notfallhilfe geleistet. Viele der betroffenen Menschen wären ohne diese Hilfe verstorben.

Die Zahl der drogenbedingten Todesfälle steigt in Deutschland Jahr für Jahr (2.227 in 2023), ebenso die Zahl der HIV-Neuinfektionen durch intravenösen Drogenkonsum (380). Mit 257 Todesfällen liegt das Land Bayern in Deutschland auf Platz 3. Rund 40 HIV-Infektionen verzeichnete das Robert Koch-Institut hier 2023. Die Situation in den Drogenszenen spitzt sich zu: Crack trägt zur Verelendung bei. Und Fentanyl als potenziell tödliche Beimengung im Straßenheroin ist in Deutschland punktuell bereits angekommen, wie eine Studie der Deutschen Aidshilfe ergab.

Bundesdrogenbeauftragter Burkhard Blienert
Bundesdrogenbeauftragter Burkhard Blienert

„Eine Debatte über das ‚Ob‘ von Drogenkonsumräumen können wir uns gar nicht mehr leisten“, betont bei der „Nicht-Eröffnung“ der Sucht- und Drogenbeauftragte der Bundesregierung, Burkhard Blienert. „Ich appelliere nochmals an die Bundesländer ohne diese Angebote: Ermöglichen Sie die Einrichtung von Drogenkonsumräumen – auch gleich mit Drug-Checking.“

Seit dem Jahr 2000 erlaubt das Betäubungsmittelgesetz solche Einrichtungen, die Bundesländer müssen jedoch entsprechende Rechtsverordnungen erlassen. Neun haben das getan. Bayern weigert sich, sieht die Rechtssicherheit und Rechtsgleichheit in Gefahr. Was generell verboten sei, dürfe nicht plötzlich erlaubt sein.

Die Städte wollen

An den Städten liegt es nicht: München, Nürnberg und Augsburg würden gerne Drogenkonsumräume einrichten. Auf kommunaler Ebene setzen sich auch CSU-Politiker*innen dafür ein, den Konsum aus der Öffentlichkeit in ein reguliertes und sicheres Umfeld zu verlegen.

AIDS2024
Pralles Communityprogramm

Die internationale Fachwelt versammelt sich bei der Welt-Aids-Konferenz in München – und die hiesigen Communitys mischen mit. In Kooperation mit zahlreichen Netzwerken, Gruppen und Organisationen hat die Deutsche Aidshilfe dazu eingeladen.

© Johannes Berger

Unter dem Motto „Together for Diversity, Justice and Health“ trafen sich rund 150 Aktivist*innen in der Networking Zone im Global Village, dem Bereich für Zivilgesellschaft und Selbsthilfe. Sich vernetzen, austauschen, voneinander wissen und lernen war das Ziel. Dafür gab es eine Woche volles Programm: Mit medizinischen „Breaking News“ von der Konferenz, Diskussionen, Lesungen und vielen weiteren Formaten. Da wurden Kongresstaschen gebastelt, es fanden Theatersessions zur Traumaaufarbeitung statt und Erzählcafés luden zum Austausch ein. Da wurden politische Themen wie die Kriminalisierung des Stillens mit HIV diskutiert und es formierten sich „Helferzellen gegen Rechts“.

„Viele Aktivist*innen haben neue Kontakte geknüpft und sich global vernetzt. Das Konzept ist voll aufgegangen!“, freut sich Heike Gronski, HIV-Referentin der Deutschen Aidshilfe.

Ticker von der Welt-Aids-Konferenz:
www.aidshilfe.de/meldung/aids-2024- news-ticker-muenchen

Ausführliche Dokumentation in Kürze unter aidshilfe.de/shop

„Die Stadt München ist überzeugt, dass durch Drogenkonsumräume nicht nur die abhängigen Menschen besser geschützt sind, sondern auch alle anderen Bürgerinnen und Bürgern“, sagt in der Fraunhofer Straße Münchens dritte Bürgermeisterin Verena Dietl. „Die bayerische Landesregierung sollte die Entscheidung den Kommunen überlassen, die am besten wissen, was vor Ort gebraucht wird.“

Ein paar Tage zuvor hat schon Münchens Oberbürgermeister Dieter Reiter (SPD) an den bayerischen Ministerpräsidenten Markus Söder (CSU) geschrieben. Angesichts von immer mehr Konsum auf der Straße hätten die Bürgerinnen und
Bürger immer weniger Verständnis dafür, dass es keine Konsumräume gebe.

Im Freistaat scheitert ein breites Bündnis immer wieder an der Landesregierung. Die Blockade soll vor allem aus dem Justiz- und dem Innenministerium herrühren. Dabei sprechen Bundesrecht, staatsanwaltschaftliche Gutachten und die Erfahrungen anderer Länder eine deutliche Sprache: Drogenkonsumräumen muss nichts entgegenstehen. Oder mit den Worten des Drogenreferenten der Deutschen Aidshilfe, Dirk Schäffer: „Es ist Zeit, dass Menschlichkeit und wissenschaftliche Evidenz wieder über moralische Bedenken gestellt werden.“

„Unsere humanistische Maxime muss sein, Suchtkranken, die ein Teil unserer Gesellschaft sind, in ihrer Erkrankung mit passgenauen Hilfsangeboten zu begegnen“, betont Katrin Bahr, Geschäftsführende Vorständin von Condrobs e.V., die für das Trägerbündnis „Gedenktag für verstorbene Drogen gebrauchende Menschen in München“ spricht. Thekla Andresen vom Netzwerk JES („Junkies, Ehemalige und Substituierte“) erklärt: „Der höchste Wert müssen immer die Menschenwürde und das Menschenrecht auf den bestmöglichen erreichbaren Gesundheitszustand sein. Was sollte darüber stehen?“

Als Erinnerung an diese Werte blieb der Pop-up-Drogenkonsumraum für die Zeit der Welt-Aids-Konferenz erhalten. Kongresspräsident Dr. Christoph Spinner aus München wies in seiner Rede bei der Eröffnung darauf hin, dass sein Bundesland mit Blick auf Schadensminimierung in Drogenkonsumräumen von anderen Bundesländern lernen könne. In der ersten Reihe saß: die bayerische Gesundheitsministerin Judith Gerlach. 

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