Philipp De Leuw, Frankfurt
Doxycyclin – Nebenwirkungsprofil
Mit knapp 1,4 Millionen Verordnungen pro Jahr ist Doxycyclin das am häufigsten verordnete Antibiotikum im infektiologischen Praxisalltag, wobei der Fokus in der Behandlung und Prävention von Chlamydien- und Syphilisinfektionen („Doxy-PEP“) liegt. Besonders in den jüngsten nationalen und internationalen Leitlinien zur Doxy-PEP erscheint es sinnvoll, sich kritisch mit Nebenwirkungen und Komplikationen der Doxycyclin-Einnahme auseinanderzusetzen und Patient*innen im Rahmen einer verordneten oder eigenständig initiierten Therapie entsprechend aufzuklären.
Anwendung
Doxycyclin sollte zusammen mit einer Mahlzeit eingenommen werden. Die Einnahme nach oder während einer Mahlzeit kann die Häufigkeit von Magen-Darm-Störungen verringern. Die Resorptionsquote wird dadurch nur unwesentlich beeinträchtigt. Um ösophageale Ulzerationen zu vermeiden, sollte die Tablette mit einem Glas Wasser (keine Milch!) am besten im Stehen oder Sitzen und nicht unmittelbar vor dem Zubettgehen eingenommen werden.
Gegenanzeigen
Überempfindlichkeit gegen den Wirkstoff, Schwangerschaft und Stillzeit, Kinder unter 8 Jahre und schwere Funktionsstörungen der Leber.
Vorsicht
Vorsicht ist geboten bei Patient*innen mit Myasthenia gravis, da das Risiko einer Verschlimmerung der Erkrankung besteht. Ferner können Tetracycline zu einer Exazerbation eines systemischen Lupus erythematodes führen.
Abb. 1
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Abb. 2 Schwarze Haarzunge
Abb. 3 Doxycycline-Induced staining of Adult Teeth
Nebenwirkungen
Die häufigsten Nebenwirkungen von Doxycyclin sind Magen-Darm-Beschwerden wie Sodbrennen, Erbrechen, Blähungen, Fettstühle und Durchfall. Bei schweren Durchfällen besteht Verdacht auf eine pseudomembranöse Enterokolitis, meist ausgelöst durch Clostridium difficile.
Besonders relevant, vor allem bei Urlaubern (z.B. „Besuch der Pride auf Gran Canaria“), sind allergische Hautreaktionen und eine erhöhte Photosensibilisierung der Haut mit dem Bild einer Dermatitis. Ursache ist eine phototoxische Reaktion: Die UV-Strahlung aktiviert chemisch das Doxycyclin, was Zellschäden in der Haut zur Folge hat. Klinisch zeigt sich dies wie ein Sonnenbrand, jedoch häufig mit einer stärkeren „Verbrennung“, Schwellung und Blasenbildung (Abb. 1).
Absolut harmlos, aber oft Anlass für eine Konsultation, ist die schwarze Lingua villosa (Haarzunge) (Abb. 2). Ursache hierfür ist eine Veränderung der oralen Mikroflora unter Einnahme, die die Zungenpapillen beeinflusst und die mechanische Reinigung der Zungenoberfläche verlangsamt. Dies führt zur „haarigen“ Ansammlung abgestorbener Zellen. Nahrungsmittel, Rauchen und Bakterien können dann die dunkle oder schwarze Erscheinung verursachen. Durch mechanische Reinigung der Zunge und das Absetzen des Medikaments bildet sich die Haarzunge schnell zurück.
Irreversible Zahnverfärbungen treten bei unsachgemäßer Verordnung bei Kindern (bis zum Alter von 8 Jahren) häufig auf, bei Erwachsenen jedoch nur bei Langzeitbehandlung (z.B. „Doxy-PEP beim sexuell hochaktiven Patienten?“). Bei Erwachsenen lagert sich das gelbliche Medikament nicht in die innere Struktur der Zähne ein, sondern führt zu oberflächlichen Verfärbungen (Abb. 3). Doxycyclin bindet an die Glykoproteine der sogenannten Zahnoberhaut (Pellikelschicht). Lichteinwirkung oder bakterielle Aktivität führen zu Oxidationsprozessen und bilden mit Eisen einen unlöslichen Chelatkomplex. In der Regel lassen sich solche Verfärbungen durch gute Zahnhygiene vermeiden. Sollten ästhetisch störende Verfärbungen auftreten, können diese durch eine professionelle Zahnreinigung und gegebenenfalls Bleaching entfernt werden.
Intrakranielle Hypertension
Kurzportrait Doxycyclin
Doxycyclin ist ein Breitbandantibiotikum aus der Gruppe der Tretrazykline. Der Grundstein der Geschichte der Tetrazycline wurde 1948 durch den US-amerikanischen Chemiker Benjamin Minge Duggar mit der Entdeckung von Chlortetracyclin gelegt, welches er aus Streptomyces aureofaciens isolierte. Tetracycline binden an die 30S-Untereinheit der Ribosomen. Diese Bindung blockiert die Anlagerung der tRNA. A. C. Finlay, ein Chemiker bei Pfizer, modifizierte diese natürliche Substanz und erhielt ein Molekül mit verbesserter Stabilität und Bioverfügbarkeit: Doxycyclin. 1967 kam Doxycyclin erstmals in den USA auf den Markt und wurde ursprünglich in der Tiermast eingesetzt. Heute steht Docycxclin auf der Liste der unentbehrlichen Arzneimittel der Weltgesundheitsorganisation. Die Liste der Indikationen für das Breitbandantibiotikum ist lang, umfasst viele Infektionen, aber nicht die Prävention von sexuell übertragbaren Infektionen.
Besonders aufmerksam sollten Behandler werden, wenn Patient*innen unter Doxycyclin-Einnahme über Cephalgien, Sehstörungen, Tinnitus, Übelkeit und/oder Erbrechen klagen. Ursache könnte ein Pseudotumor cerebri, auch idiopathische intrakranielle Hypertension (IIH) genannt, sein. Die Kopfschmerzen sind das häufigste Symptom, treten in der Regel täglich auf und sind intensiv, ähnlich einer Migräne. Die Sehstörungen manifestieren sich klassischerweise in Form von verschwommenem Sehen und Doppelbildern. Patient*innen berichten auch von „Flimmern“ oder Lichtblitzen. Bei der Funduskopie zeigt sich ein Papillenödem. Gelegentlich treten Schmerzen im Nacken- und Schulterbereich auf.
Essenziell für die Beurteilung und Aufklärung eines möglichen Risikos ist eine genaue Medikamentenanamnese. Die gleichzeitige Einnahme von Vitamin A (alimentäre Überdosierung), Retinoiden (z.B. zur Behandlung von Akne), Tetrazyklinen, Kontrazeptiva mit hoher Östrogendosis, Lithium und/ oder Nitrofurantoin erhöht das Risiko einer intrakraniellen Hypertension erheblich.
Bei der Funduskopie ist oft ein Papillenödem sichtbar, Das MRT des Neurokraniums dient hauptsächlich zum Ausschluss anderer Ursachen. Meist werden dabei keine relevanten Veränderungen festgestellt. In der Lumbalpunktion wird ein erhöhter Liquordruck festgestellt, was die Diagnose unterstützt. Die Therapie wird interdisziplinär durch ein Team aus Neurologen, Neurochirurgen und Augenärzten festgelegt und umfasst die Einnahme von Acetazolamid oder alternativ Topiramat sowie kurzfristig entlastende Lumbalpunktionen. Als Ultima Ratio kommt eine Shunt-Operation infrage.
Wechselwirkungen
Die Resorption von Doxycyclin aus dem Magen-Darm-Trakt kann durch 2- oder 3-wertige Kationen wie Aluminium, Calcium (Milch, Milchprodukte und calciumhaltige Fruchtsäfte) und Magnesium in Antazida oder durch Zink-, Bismut- oder Eisenpräparate sowie durch medizinische Aktivkohle, Colestipol und Colestyramin beeinträchtigt werden. Daher sollten derartige Arznei- oder Nahrungsmittel in einem zeitlichen Abstand von 2-3 Stunden eingenommen werden.
Das Antibiotikum Rifampicin, induzierende Stoffe aus der Klasse der Barbiturate und andere antikonvulsiv wirksame Pharmaka wie Carbamazepin, Diphenylhydantoin und Primidon sowie chronischer Alkoholabusus können aufgrund einer Enzyminduktion in der Leber den Abbau von Doxycyclin beschleunigen.
Doxycyclin kann die Wirkung von Sulfonylharnstoff Derivaten (orale Antidiabetika) verstärken. Da unter Tetrazyklinen die Plasmaprothrombin-Aktivität gesenkt werden kann, muss bei antikoagulierten Patienten eine Dosisreduktion der Antikoagulanzienin in Betracht gezogen werden. Durch gleichzeitige Anwendung von Doxycyclin und Ciclosporin A kann die toxische Wirkung des Immunsuppressivums erhöht werden.
Überdosierung
Bei Überdosierung besteht die Gefahr von parenchymatösen Leber- und Nierenschädigungen sowie einer Pankreatitis.
Nebeneffekte
Der Einfluss auf die Entwicklung von Resistenzen bei „inflationärer“ Anwendung von Antibiotika ist aus der Veterinärmedizin seit Jahrzehnten gut bekannt. Beim Menschen wurden in den Studien zur Doxy-PEP ebenfalls erhöhte Resistenzraten bei Staphylococcus aureus (insbesondere MRSA), Neisseria gonorrhoeae und Enterobakterien beobachtet. Als Behandler*innen tragen wir die Verantwortung, besonders im Rahmen der Einführung der Doxy-PEP unsere Patientinnen über Risiken, Nutzen und Wechselwirkungen aufzuklären. Insbesondere die unkritische Anwendung durch die Patient*innen (z.B. „Restbestände“, von Freunden) sowie das Bewerben der Doxy-PEP und die Möglichkeit zur Bestellung ohne Rezept im Internet resultieren in einer deutlichen Abnahme der Versorgungsqualität.
Doxycyclin ohne Rezept aus dem Internet
Doxycyclin kann man im Internet ohne Rezept kaufen. Auf die „Resistenz-Debatte“ reagiert der Internet-Verkäufer mit Manipulation und Propaganda. Den Kritikern der freizügigen Doxy-PEP werden andere Motive unterstellt wie „latente Homophobie“ oder „persönliche Ideen zur richtigen Art von Sex“ oder die Ablehung eines „biomedizinisch optimierten Lebensstils“.
A dry look at the resistance debate
Why do we take a more rational approach to the often critically viewed use of antibiotics in many areas of medicine and veterinary medicine, while antibiotic STI prophylaxis triggers an emotional debate – even though it only concerns a small part of the population? Are there sometimes other motives behind the pronounced skepticism towards this method than just the risk of resistance? Could latent homophobia, personal ideas of “the right way of having sex” or the rejection of a biomedically-optimized lifestyle play a role?