Keine ANST!
Die Polizei versieht in ihrem Datenbanksystem Inpol-Z weiterhin Menschen mit dem Kürzel ANST für „ansteckend“. Die Hinweise werden häufig dauerhaft gespeichert – unabhängig vom Status der Infektion. Das ist das Ergebnis einer aktuellen Recherche der Deutschen Aidshilfe (DAH).
Trügerischer Schutz
Der „personengebundene Hinweis“ soll Polizist*innen vor einer Übertragung von HIV, Hepatitis B oder C schützen, wenn es zu Auseinandersetzungen mit den betroffenen Personen kommt, etwa bei einer Razzia oder Festnahme. Dabei spielt allerdings keine Rolle, ob eine HIV-Infektion gut behandelt oder eine Hepatitis längst ausgeheilt ist. Für die Diensttuenden ist auch nicht ersichtlich, welche der Infektionen vorliegen soll.
„Die Markierung einer Person als Gefahr – das ist die wörtliche Bedeutung von Stigmatisierung“, sagt Kerstin Mörsch von der DAH-Kontaktstelle HIV-bezogene Diskriminierung. „In den allermeisten Fällen besteht sowieso überhaupt kein Übertragungsrisiko. Der Warnhinweis bietet keinen Schutz, sondern ist eine Gefahr für Menschen mit HIV, Hepatitis B und C.“
Gegen Hepatitis B sollten Bedienstete gemäß STIKO-Empfehlung geimpft sein. Und das HIV-Übertragungsrisiko wird drastisch überschätzt, kann HIV doch weder durch Anspucken noch durch Kratz- oder Bisswunden übertragen werden.
Der Nationale AIDS-Beirat hat bereits 2016 empfohlen, die einst von der Innenministerkonferenz beschlossene Praxis zu beenden.
Entschärfung hat offenbar wenig verändert
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2020 ist die Regel zumindest entschärft worden. „ANST“ soll seitdem nur noch verwendet werden, wenn es konkrete Anzeichen gibt, dass Personen ihre Infektionskrankheit aktiv gegen Bedienstete einsetzen würden oder eine Gefahr für sie entstehen könnte. Das wäre nach dem entsprechenden Leitfaden der Polizei zum Beispiel der Fall, wenn Personen die Infektion schon einmal gewaltsam eingesetzt oder damit gedroht haben. Doch viele Warnhinweise werden offenbar nicht gelöscht: Bundesweit sind laut Bundeskriminalamt (BKA) 22.361 Personen mit dem Vermerk „ANST“ gespeichert.
Die Behörden müssten sie nach bestimmten „Aussonderungsfristen“ überprüfen, etwa wenn eine Person ihre Strafe verbüßt hat oder ein Verdacht sich nicht erhärtet hat, teilt das Bundeskriminalamt (BKA) mit. „Die Polizei muss sich jeden Eintrag individuell anschauen, doch das wird häufig nicht zuverlässig getan“, erläutert der Rechtsanwalt Jasper Prigge. Er stellt in Frage, dass die Daten überhaupt gespeichert werden dürfen. Eine Gefahrenprognose sei eine Momentaufnahme, sie sage wenig darüber aus, wie sich eine Person Jahre später verhalten werde und ob dann tatsächlich eine Gefahr für Polizist*innen entstehen könnte. Schließlich muss auch berücksichtigt werden, dass die Infektionen in der Zwischenzeit behandelt werden können. Der „Stand der jeweiligen aktuellen viralen Belastung“ und die entsprechende Gefahr könnten auch im Fall einer Therapie im entscheidenden Moment nicht sicher bekannt sein, entgegnet eine BKA-Sprecherin.
Speicherung nicht verhältnismäßig
Prigge hält diese Argumentation nicht für stichhaltig. Es müsse zwischen den Interessen des Staates, der Wirksamkeit der Präventionsmaßnahme und dem Eingriff ins Persönlichkeitsrecht abgewogen werden. Der Anwalt bezweifelt, dass der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit gewahrt sei. „Eine Speicherung muss geeignet, erforderlich und angemessen sein. Erforderlich ist sie nur, wenn sie das mildeste Mittel ist, um Beamt*innen vor einer Erkrankung zu schützen.“
„In vielen Fällen dürfte der Warnhinweis schlicht rechtswidrig sein“, fasst Kerstin Mörsch zusammen. „Eine individuelle Löschung zu erwirken, ist zugleich unzumutbar kompliziert. Dieses Vorgehen muss so schnell wie möglich beendet werden.“ ascho/howi
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