Mannheim als Fast-Track City
Mit einer Einwohnerzahl von etwa 317.000 ist Mannheim nach der Landeshauptstadt Stuttgart die zweitgrößte Stadt in Baden-Württemberg. Mannheim ist ein wichtiger Impulsgeber innerhalb der Metropolregion Rhein-Neckar.
Wichtige Gründe für den Beitritt Mannheims zur FTC-Initiative sind hohe Inzidenzen an sexuell übertragbaren Krankheiten (STI) in der Stadtgesellschaft, ausgeprägte sozialmedizinische Vulnerabilitäten gegenüber STI sowie ein hoher Präventionsbedarf.
Mannheimer Daten
Mannheim weist für 2015-2024 eine kumulative 9-Jahres-Inzidenz der meldepflichtigen STI HIV, Hepatitis B, Hepatitis C und Syphilis von 760/100.000 Einwohner auf. Es liegt damit vor den Fast-Track Cities Frankfurt mit 705 und Bochum mit 427/100.000. Bei den HIV-Infektionen sind die Inzidenzen in Frankfurt und Mannheim ähnlich (87 vs. 82/100.000). Vor allem aber für Hepatitis B- und C-Infektionen liegen die Mannheimer Inzidenzen höher, für Hepatitis B bei 244/100.000 vs. 225 in Frankfurt und 182/100.000 in Bochum und für Hepatitis C bei 231 vs. 105 in Frankfurt und 99/100.000 in Bochum. Seit 2021 wird ein Anstieg der Hepatitis B- und C-Meldungen sowohl in Mannheim als auch bundesweit vor allem in Großstädten beobachtet. Die Ursachen hierfür sind unklar. Zum Anstieg der Mannheimer Hepatitis B- und C-Inzidenzen laufen aktuell Untersuchungen. (Abb. 1)
Abb. 1 Inzidenzen meldepflichtiger STI (HIV+HBV+HCV+Syp) 2015-2024
Initiative
Fast-Track City
Die FTC-Initiative von UNAIDS, IAPAC, UN-Habitat und der Stadt Paris hat das Ziel, die HIV/AIDS-Pandemie in Städten bis 2030 zu beenden, mit HIV/AIDS assoziierte Krankheiten zu reduzieren und Menschen, die von diesen Krankheiten betroffen oder bedroht sind, zu entstigmatisieren. Die FTC-Zielwerte sind:
• 95% aller HIV-Infektionen sind erkannt
• 95% der bekannten HIV-Infizierten sind in Therapie
• 95% der therapierten HIV-Infizierten sind nicht mehr ansteckungsfähig
• 0% Diskriminierung von Menschen mit HIV
Zu den mit HIV assoziierten Krankheiten werden u.a. Syphilis, Hepatitis B und C, Gonorrhoe, Tuberkulose und psychische Erkrankungen, insbesondere Suchterkrankungen, gerechnet. Die Ziele von FTC sind in der Paris Declaration von 2014 festgelegt. Bis jetzt sind in Deutschland die Städte Berlin, Frankfurt, Bochum, Aachen und München der FTC-Initiative beigetreten.
Aus sozialmedizinischer Sicht gehören große Teile der Mannheimer Stadtgesellschaft mit verschiedenen, überlappenden Vulnerabilitäten zu den STI-Risikogruppen. Neben Menschen mit sexuellem Risikoverhalten oder Drogenkonsum sind u.a. Menschen mit Migrationsbiografie, fehlendem Zugang zur medizinischen Versorgung, mit Sprachbarriere oder aus bildungsfernen Milieus, mit psychischen Erkrankungen sowie wohnungslos und auch junge Menschen besonders von STI betroffen. Personen mit Mehrfachzugehörigkeiten zu diesen Gruppen sind besonders gefährdet.
Zu wenig Information
In
einer Befragung 2019/2020 von volljährigen Auszubildenden einer
Berufsschule in Mannheim wurde das
Sexualverhalten der
vergangenen sechs Monate und die Wahrnehmung des Risikos von sexuell
übertragbaren Infektionen erhoben. Insgesamt nahmen 711 Personen an
der Befragung teil. Zwei Drittel der Teilnehmenden waren sich des
Risikos ungeschützter Sexualkontakte bewusst und sahen HIV/AIDS als
ein relevantes Problem an. Nur knapp ein Viertel fühlte sich
ausreichend über HIV/AIDS informiert und nur jede*r Sechste sprach
über HIV/AIDS mit Sexualpartner*innen. Mehr als ein Drittel aller
Studienteilnehmenden (34,6%) war in diesem Zeitraum
einem potenziellen STI-Ansteckungsrisiko ausgesetzt. Innerhalb dieser
Personengruppe verzichteten mehr
als die Hälfte konsequent bei jedem Sexualkontakt der vergangenen
sechs Monate auf ein Kondom – trotz der wechselnden
Sexualpartner*innen und des damit verbundenen Ansteckungsrisikos. Nur
ca. 5% der Befragten ließen sich in den vergangenen sechs Monaten
auf HIV testen. Die Erhebung zeigte, dass Kondome inkonsequent von
jungen Menschen mit potenziellem STI-Risiko verwendet werden. Der
Großteil der Befragten fühlte sich unzureichend über HIV/AIDS
informiert und nur wenige sprachen über HIV/AIDS oder ließen sich
auf HIV testen (unveröffentlichte Daten, Vogelmann).
Abb. 2 Konzept „Mannheim als Fast-Track City“
Ergebnisse wie diese zeigen, dass eine erfolgreiche Aufklärungs- und Präventionsarbeit zentraler Bestandteil eines erfolgreichen FTC-Konzeptes in Mannheim sein muss. Das Mannheimer FTC-Konzept sieht deswegen neben den klassischen Modulen der FTC-Initiative „Testen“, „Medizinische Versorgung“ und „0% Diskriminierung“ ein zusätzliches Modul „Prävention“ mit dem Ziel, „95% aller Jugendlichen und Risikogruppen zu HIV und STI aufzuklären“ vor. (Abb. 2)
In Mannheim gibt es viele Initiativen und Akteur*innen, die sich mit dem Thema STI befassen. Was noch erforderlich ist, ist eine partizipativ gestaltete Netzwerkarbeit, die die verschiedenen Aktivitäten und Player verbindet und strategisch sozial und gesundheitlich wirkungsorientiert ausrichtet. Dies soll durch „Mannheim als Fast-Track City“ erreicht werden. Dabei ist sowohl die Beteiligung von medizinischen Einrichtungen als auch von zivilgesellschaftlichen und behördlichen Akteur*innen vonnöten.
Mehr PrEP
Neben der HIV-Schwerpunktpraxis (Mannheimer Onkologie Praxis), die den Großteil der Menschen, die mit HIV leben, betreut, konnte in den vergangenen Jahren ein PrEP-Netzwerk (Prä-Expositions-Prophylaxe) aufgebaut werden. Aktuell gibt es in der Stadt Mannheim fünf Praxen (vier Allgemeinarztpraxen, eine HIV-Schwerpunktpraxis), die PrEP anbieten. Hinzu kommen in der Region noch fünf weitere PrEP-Praxen, die sich regelmäßig zum Austausch treffen und gemeinsame PrEP-Fortbildungen durchführen.
An zivilgesellschaftlichen Akteur*innen sind Organisationen der queeren Community, Angebote zu anonymer HIV/STI-Beratung und Testung, zu gesundheitlicher Versorgung von Sexarbeiter*innen, von Menschen ohne Krankenversicherung oder ohne Obdach, von Menschen mit Suchterkrankungen, Migrant*innen u.a. Partner von „Mannheim als Fast-Track City“.
Auf Anfragen aus dem Mannheimer Gemeinderat nach einem FTC-Beitritt Mannheims erstellte das Gesundheitsamt 2023 eine Gesundheitsberichterstattung zu STI, die die o.g. Inzidenzen ermittelte und im Ausschuss für Bildung und Gesundheit des Gemeinderats vorgestellt wurde. Dieser erteilte den Auftrag, ein Konzept für „Mannheim als Fast- Track City“ zu erstellen. In einem Partizipationsprozess unter Beteiligung der lokalen STI-Akteur*innen wurde bei einem Fachtag „Mannheim als FTC“ ein kommunales FTC-Konzept erarbeitet. Am 13. Juni 2024 wurden vom Gemeinderat der Beitritt Mannheims zur FTC-Initiative und das Konzept beschlossen.
Seit Herbst 2024 wird die Zusammenarbeit der Akteur*innen in Mannheim vom Gesundheitsamt Mannheim als Vertreter der Stadt koordiniert und die offizielle Ernennung zur Fast-Track City Mannheim durch UNAIDS wird im Laufe diesen Jahres erwartet.